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AutorenbildMichel ́s Bierreise

Bier & Leben - (un)filtriert

Vor Dir stehen zwei Gläser kühles Bier. Das eine ist klar, das andere trüb.

Welches nimmst Du?


Ich muss nicht lange überlegen: Ich nehme beide 🤣

Doch müsste ich entscheiden, würde meine Hand zum "Trüben" greifen.


Warum ich das tue, wie es zur Trübung kommt, wieso Bier geklärt wird und was das mit unserem Leben zusammenhängt - davon schreibe ich Dir jetzt.

Oft steht nicht einfach "trüb" auf der Flasche, sondern die Ergänzung naturtrüb. Sie zeigt, dass dies die natürliche Erscheinungsform des kühlen Hopfengetränks ist.

Jeder Brauvorgang erzeugt ein naturtrübes Bier - egal welcher Bierstil.


Grund dafür: Die Hefe. Hefezellen sind zwar winzig, aber in Form einer Trübung sichtbar. Mit der Zeit setzt sich ein Großteil der Zellen am Fass- oder Flaschenboden ab. Deswegen schwenkt man bei einem naturtrüben Flaschenbier (z.B. Hefeweizen) das letzte Drittel nochmal auf, bevor man es ins Glas gießt.


Andere Bierstile, z.B. Helles oder Pils kennen wir ohne Hefe. Hebe das Glas gegen das Licht und Du kannst hindurch die Sonne sehen. Hier wird die Hefe vor der Abfüllung herausgefiltert.


Nur eine Frage der Optik?

Tatsächlich ist die brillante Klarheit eines Bieres ein wesentlicher Grund für die Filtration. Klarheit verbinden wir mit "rein", "guter Qualität", "sauber". Da greifen wir gerne zu. Schau Dir mal an, wie wunderschön das Bier in der Werbung ins Glas fließt - wow... Ein weiterer Grund ist die Haltbarkeit, denn Hefeverbleib im Bier verkürzt das MHD.


DOCH: Never ever geht es nur um Aussehen und Haltbarkeit. Die Hefe ist ein wichtiger Geschmacksträger.

Würde Dir eine Brauerei aus demselben Sud ein unfiltriertes und ein filtriertes Pils anbieten, würde es Dir definitiv anders schmecken.


Wie wird das Bier filtriert? Die Industrie nutzt "Klärhilfen". Von Cellulose über Kieselgur (eine Art versteinerte Alge), Aktivkohle und Polyvinylpolypyrrolidon (PVPP) gibt es verschiedene Möglichkeiten, die als Filter oder zeitweise Zugabe eingesetzt werden.

Da der Kontakt "auf Zeit" ist, muss dies auf dem Etikett nicht angegeben werden.


Befürworter sagen: Alles kein Problem, auf dem Etikett einer Tomatensoße ist auch kein "Rührlöffel" angegeben.

Kritiker wenden ein: Mindestens das PVPP (Plastik) ist ein unnatürlicher Zusatzstoff, von dem auch schon Rückstände (Mikroplastik) im Bier nachgewiesen wurden.


Wie dem auch sei: Mir schmeckt das natürtrübe Bier oft einfach besser, fülliger. Wenn Du mal irgendwo ein unfiltritertes/natürtübes Pils entdeckst: Check it.


Ich hab mir die Frage gestellt: Ist mein Leben (un)filtriert?

Ich glaube, wir zeigen alle gern unsere "glänzenden" Seiten des Lebens. Gern erzähle ich von den Dingen, die gut laufen. Jedes Foto, ob Selfie oder nicht, wird vor dem Posten auf seine "klare" Schönheit geprüft - oder gelöscht.

Misserfolge oder Schwächen - da ist es wie mit Geld. Die hat man eben, aber darüber redet man nicht.

Letztes Jahr nahm ich beispielsweise an der BestBrewChallenge teil. Ein Wettbewerb mit bestimmten Vorgaben, anhand denen ein Bier zu brauen ist. Die Gesamtbewertung "ausreichend" war nicht so ganz das, was ich mir wünschte. Deswegen werde ich das auch niemals hier erwähnen. Lieber "kläre" ich etwas und sage: Die Farbe wurde als stiltypisch positiv hervorgehoben.


Nun ist mir das Gerede von "Authentizität" in den letzten Jahren auch ab und an zu viel geworden. Nein, ich will nicht, dass jeder von uns jetzt ständig jedem (nur) von seinen Misserfolgen, Schwächen uns Baustellen erzählt. Das wirkte auf mich manchmal gar etwas wie Marketing: "Schau, was für ein Alltagskämpfer ich bin" und damit eben auch nicht mehr authentisch. Als wenn man zum naturtrüben Bier noch Trubstoffe hinzufügen würde.

Das ist gar nicht notwendig, denn: Die natürliche Erscheinungsform des Lebens ist unfiltriert.

Wie es mir als Hobbybrauer gar nicht möglich ist, ein Bier komplett zu klären, so ist es in meinem Leben auch. Es glänzt einfach nicht immer.


Geklärte Bilder und Beiträge in Gesprächen oder den sozialen Medien mögen Lächeln und Likes hervorbringen. Doch wollen wir eine vollmundige - besser vollherzige - Freundschaft oder Beziehung, dann brauchen die unfiltrierten Momente des Lebens Raum im Lebensglas.

Wie die Hefe im Bier, sind auch diese Aspekte ein Geschmacksträger: Anteil nehmen & geben, Vertrauen wächst, Miteinander ist möglich.

Solche Beziehungen schmecken besser.


"Unfiltriert", "Naturtrüb", "Unfiltered".

Mittlerweile finden sich diese Begriffe wieder vermehrt sichtbar platziert auf den Etiketten der Biere im Regal. Eigenschaften, die an sich das natürlichste und normalste der Bierbrauwelt darstellen, kommen offensichtlich neu in Saison und werden marketingtechnisch in Szene gesetzt, als wären sie etwas "neues" oder "Besonderes.


Ich wünsche mir nicht, dass wir unseren Gesprächen und Beziehungen jetzt einen extra Stempel aufdrücken: Achtung, ich hab da jetzt noch was unfiltriertes...

Aber es wäre was, wenn die natürlichen, unfiltrierten Momente des Lebens ganz normal dazugehören - wie die Hefe im Bier.


Vor Dir stehen zwei Gläser. Eines klar filtriert. Das andere naturtrüb. Zu welchem greifst Du?


🍻🍻🍻🍻🍻🍻🍻🍻🍻🍻🍻

Kennst Du Michel´s Bierreise schon auf Instagram & Facebook? Dort poste ich regelmäßig Momentaufnahmen und Kurzberichte, wie z.B. von meinem Besuch auf der Mainzer Bierbörse. Ich würde mich freuen, wenn Du mir auch dort folgst.

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